Drachrhein, Prolog

Ein gewisser Kai Gramlich sah sie bewusst als Erster. Seltsame Wesen, exakte 1000 mm lang, im Wildgänse-Anflug auf Rheinkilometer 0 am Seerhein in Konstanz. Aber es war 4 Uhr morgens und er hatte 2,5 Bier zu viel am Steuer, es können auch 2,7 gewesen sein. Also erzählte er nichts, sehnte nur sein Bett. Bis 06:00 Uhr MESZ glühten die Telefonleitungen am Rhein, die Funkzellen vibrierten. Tausende sahen sie den Rhein entlang fliegen, in geschlossener Formation, vierzig Stück. Kurz umflogen sie die vielen Pappdrachen in Worms, fauchten belustigt, wurden um 07:00 über Mannheim gesichtet. Durch die Social Media Kanäle gejagt, waren bereits bis in die Mandschurei Tausende von Verschwörungstheorien auf den Webservern dieser unserer Welt gespeichert. Regierungssprecher wiegelten ab. Die Polizei wollte Ermittlungen nicht gefährden, die technischen Hilfswerke und die Feuerwehren tuteten durch die Städte und Dörfer. Der Generalinspekteur bedauerte im Inland nicht ohne den Bundestag und überhaupt wären alle, na ja, tauglichen Flugmaschinen im Kampf gegen die Feinde im Ausland. Witze schossen in Gehirne, Kinder lachten oder weinten. Es waren eindeutig keine Drohnen.
Es waren Drachen,

die schwefelhaltiges Feuer ausatmeten, eindeutig. Die genaue Fernanalyse des Feueratmens hielt die Chemiker der ehemaligen IG-Farben-Firmen längs des Rheins in Atmen. Wer wollte sich solche Innovation entgehen lassen. Die Drachengeschöpfe flogen den gesamten Rhein entlang, geräuschlos und doch mit beachtlichem Tempo, verschwanden in Rotterdam über der rauen Nordsee, umkreisten in London den Tower, die britische Luftwaffe griff sofort ein und an. Die Kronjuwelen waren nationaler Bestand! Die Drachen kümmerte das weiter nicht, bewunderten Stonehenge und exakt über dem Mittelpunkt des Steinkreises drehte die Kolonne und flog zurück. Genau den gleichen Weg zurück. Bis Koblenz. Die Reporter der Rheinzeitung, die sie am Deutschen Eck erwarteten, rannten perplex los, als sie merkten, dass sie gen Bahnhof flogen. Das Geschwader, wie es jetzt schon in allen Newstickern hieß, ließ sich auf einem Zug der MRB nieder und fuhr mit diesem das Tal hinab, lautlos, bewegungslos. Kein aufgeregtes Gezwitscher konnte sie verscheuchen, keine Steine, die geworfen wurden. Sie atmeten auch kein Feuer mehr aus. So fuhren sie bis Bingerbrück mit und hopsten regelrecht auf den Gegenzug und fuhren zurück, inzwischen von einer Karawane aus allen Fahrzeugtypen begleitet, gefilmt von Drohnen und Helis, auf Tausenden Smartphones gebannt. Und dann. Burg für Burg flog eines der Wesen auf die Zinne oder was auch immer zur Verfügung stand fauchte kurz und meldete sich ohne jeden Device, einfach kraft des Feueratmens. Sie sendeten 40 Selfies und texteten: Love and joy. Peace to all the People, alle Menschen werden Schwestern.
Dann erhoben sie sich und sammelten sich auf der Germania über Rüdesheim, jedes Wesen küsst einmal die Statue mit Feuerstrahl, bis es glühte, erschwärzte und das Geschwader flog zurück bis zum Bodensee und verschwand.
Nur ein Wesen, das nur 999 mm maß, wie die amerikanische Wissenschaftler später herausfanden, ließ sich vor dem Südportal des Wormser Domes nieder. Laut deklamierte es das Nibelungenlied. Perfekt nach der Handschrift C zitiert. Flog hoch und wartete auf dem Nordturm. Leicht bebte wieder einmal die Erde 2,3 Richter hoch. Am Rhein erglühte kurz der Kitsch des Hagendenkmals. Niemand in Worms erstaunte. Die PR für die Nibelungenfestspiele schien immer seltsamer zu werden. Und das Wesen schrie ins All: Mein Name ist Siegfried, Siegfried Xanten, geschüttelt und ungerührt! Das Feuilleton tobte am nächsten Tag. Einfältige Werbung, das Abendland ging bald wieder unter oder gar Zigaretten holen. Siegfried aber schwieg.

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